Monday, July 25, 2011

Track76 - Interview in Sneakerfreaker Magazine Issue 03/11



Sneaker in Acryl

auf Leinwänden aus Koblenz

Ein Mann wie ein Baum mit der Fingerfertigkeit alter Meister, der die Dose mit dem Pinsel getauscht und im Frühjahr seine erste große Ausstellung im heimatlichen Koblenz hat:Alvaro Sommer Merino a.k.a. Track76, halb deutsch, halb spanisch und Vater zweier Kinder. „Kings, Sneakers and Heroes“ zeigte ausgewählte Arbeiten, die seine Sichtweise auf die ihn umgebenden Dinge widerspiegeln.

Alvaro, schön mal wieder von dir zu hören. Erzähl uns von deinen künstlerischen Anfängen in den späten Achtzigern und was es mit Track76 auf sich hat.

Naja, mit 14, 15 Jahren fand ich „Track“ als Namen einfach cool. Es wurde mein legales „Tag“ für Graffiti-Aufträge, bei denen ich nebenher Kohle verdienen konnte, und später auch mein Name als Rapper, die 76 ist mein Geburtsjahr und steht für die Siebziger-Jahrgänge, die Kids die praktisch zusammen mit Hip-Hop auf die Welt kamen.

Du beschreibst den frühen HipHop als deine primäre Inspirationsquelle. Wann genau ging das für dich los und wer war der prägendste Akteur damals?

Den Einstieg in dieses ganze HipHop-Ding war für mich „Melle Mel“ mit „the Message“ in den Achtzigern. Da hab' ich zum ersten Mal Bilder von New York im Fernsehen gesehen und mir gedacht - wow - was ist denn da in Amerika los? Die stehen da mitten im Chaos und Problemen und erzählen davon, und auch noch verdammt cool! Ich muss ca. 9 Jahre alt gewesen sein und ich glaube das Video lief in dieser Musikshow „Formel Eins“, die Filme „Beat Street“ und „Wildstyle“ haben mir dann den Rest gegeben, seit diesem Zeitpunkt bin ich eben voll auf die gesamte HipHop-Kultur fixiert.

Thema Sneaker. Deinen Werken lässt sich entnehmen, dass du eine ziemlich ausgeprägte Leidenschaft für Turnschuhe entwickelt hast. Erzähl uns davon – und verrate uns vorher noch, was du momentan am Fuß trägst?

Im Moment trag' ich schicke weiße No-Name-Socken aber wenn du mich nach meinen aktuellen Favorites fragst, dann sind das die „Adidas x Star Wars ZX 700“, das Yoda-Modell. Für mich hatten Sneaker immer einen hohen Stellenwert. Ich bin zu der Zeit aufgewachsen als der erste Jordan rauskam, da haben meine Homies und ich jeden Tag Basketball gespielt und zum ersten Mal den Namen Michael Jordan gehört, der eigene Schuhe am Start hatte, was zum Teufel?! Irgendwann sind dann irgendwelche „reichen“ oder besser gesagt verwöhnteren Kids auf unserem Platz aufgetaucht – die konnten zwar kaum den Ball halten, aber hatten die Schuhe an. Jeder wollte die haben! Ich habe mich nicht mal getraut meine Eltern danach zu fragen. Ich weiß noch, als ich mal meiner Mutter gesagt habe, dass ich Adidas haben wolle, hat die mich gefragt was das sei? „Diese Schuhe mit den drei Streifen“ war meine Antwort. Dann kam sie aus der Stadt zurück und hatte Fakes mit 2 Streifen dabei. Die nannten wir nur Caritas. Ich war total verzweifelt. Meiner Mutter war einfach nicht beizubringen, warum dieser eine Streifen soviel für mich ausmachte. Aber eigentlich bin ich meinen Eltern dankbar, das sie so „oldschool“ waren, haha!

Heute hol' ich mir einfach die Modelle, die mir gefallen, klar, aber damals war das ein harter Kampf. Ich würd' mich aber trotzdem nicht als Sammler bezeichnen, dazu bin ich nicht ehrgeizig genug, jedem geilen Modell hinterher zu hecheln, da fehlt mir auch die Zeit, die investiere ich lieber in meine Kinder oder eben die Malerei.


Wann hast du dieses enorme künstlerische Talent bei dir entdeckt und wie bist du damit umgegangen? Hast du Kunstschulen oder -kurse besucht oder deine „Gabe“ anderweitig kultiviert?

Seit ich denken kann, habe ich gemalt, schon früh als kleiner Junge. Graffitimäßig ging's bei mir halt mit 13 Jahren los. Ich bin damals direkt nach der ersten, großen Aktion auf der Polizeiwache gelandet. In den Neunzigern habe ich mich dann viel auf Jams rumgetrieben mit meiner damaligen Crew, wir waren einfach überall, in ganz Deutschland jedes Wochenende unterwegs sozusagen, alleine schon weil meine Homies von den „Crazy-Style-Rockaz“ überall Auftritte hatten, wir haben andere Sprayer kennengelernt, Blackbooks ausgetauscht, dies und das zusammen gemacht, Leute aus anderen Städten zu uns eingeladen. Da ich schon immer ein guter Character-Maler war bekam ich dann oft kommerzielle Aufträge und die Zeit des allabendlichen Malens mit den Jungs trat irgendwann in den Hintergrund. Ich würde mich sowieso nicht als Writer bezeichnen, dafür habe ich zu viel Respekt vor den Leuten die wirklich über Jahre hinweg jede Nacht rausgehen und trains malen, und diesen Namen wirklich verdienen.

Ich habe immer viel gezeichnet. Ganz offensichtlich muss ich da auch schon recht früh ein gewisses Talent entwickelt haben, denn meine Mutter meinte so lange ich denken kann, ich solle mich doch mal irgendwo in Malkurse setzen und Öl- oder Aquarellmalen lernen. Ich habe meine Mutter aber immer ausgelacht und sie gefragt: „Soll ich Blumentöpfe malen oder was, so mit Pinsel in der Hand?“. Das ganze war mir viel zu uncool. Ich wollt' immer nur mit Dose und Bleistift arbeiten. Ich kam gar nicht drauf, Potenzial in dieser klassischen Kunstform zu sehen, meine Assoziation war bis dahin immer: Pinsel und der röhrende Hirsch im Wald. Hätte ich früher geahnt in welche Richtung ich mich mal orientieren sollte, hätt' ich definitiv versucht auf eine Kunstschule oder so zu gehen, ich hatte einfach eine eingeschränkte Sicht auf die Dinge und dementsprechend auch auf mein eigenes Talent. Ich denke halt, mein heutiges Level wäre schon viel früher für mich erreichbar gewesen und wer weiß, was sich dann so alles ergeben hätte...aber so ist es eben, ich bin Autodidakt, meine einzigen Lehrmeister war immer meine Inspiration, mein Stift und mein Pinsel. Mit dem bin ich übrigens erst seit ca. 4 Jahren aktiv. Als Weckruf funktionierte für mich damals mein Bruder SPK, der angefangen hat mit Pinsel zu arbeiten und sein erstes Bild hat mich dermaßen beeindruckt, dass ich ebenfalls mit Pinsel arbeiten wollte. Ich spürte plötzlich einen unbändigen Drang in mir, Bilder zu produzieren, da hat echt ein Feuer angefangen zu brennen und es lodert noch immer extrem, ich muss einfach jeden Tag malen.

Dein farblicher Werkstoff ist ja Acryl – wieso denn nicht direkt die klassische Öl-Variante?

Ich glaube ,weil ich vom Graffiti komme und nicht so lange warten kann bis das Bild getrocknet ist. Ich will einfach kein halbes Jahr warten, da fehlt mir die Geduld. Acryl ist dahingehend sehr viel unkomplizierter, wobei ich natürlich Öl als Königsklasse respektiere, aber mir hat bisher auch immer die Zeit gefehlt, mich da rein zu steigern. Wenn ich irgendwann das Gefühl habe, es ist Zeit für Öl, dann mach ich das. Acryl ist momentan mein Medium. Außerdem lässt sich da die Sprühdose ab und zu ganz gut integrieren, wenn's beispielsweise um Hintergründe oder kleine Spritzer im Bild geht. Manchmal bring ich auch einfach einen Marker mit rein.

Ich war ehrlich gesagt ziemlich irritiert, als ich dich zum ersten Mal sah. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser robuste Berg von Mensch in der Lage sein sollte, so filigran den Pinsel zu schwingen! Da war ich sicherlich nicht der erste der sich wundert...

Der große Affe kann ja malen, der Gorilla! Ja...da bist du echt nicht der erste. Aber das ist eben die reine Äußerlichkeit. (Anm.d. Red. :Unterschätze dein Gegenüber niemals, egal ob er Schwert oder Pinsel führt!(Alte Koblenzer Weißheit, haha!) Ich mein, ich seh' mir ja nicht zu, wenn ich im Atelier sitze und male und kann daher auch nicht beurteilen, wie ich dabei aussehe. Auch egal, solange mich das Endprodukt befriedigen kann. Außerdem sähe ich als kleiner, abgemagerter Künstler mit Ziegenbart und Baskenmütze ziemlich schlecht aus beim B-Ball zocken.

Du hast ein absolut beeindruckendes Portrait von Bobbito Garcia angefertigt und es ihm während der Sneakerness übergeben. Wie hat er auf das Bild reagiert

Das Bild hatte ich vorher schon gemalt, also das war jetzt nicht speziell auf seinen Sneakerness-Auftritt in Köln letztes Jahr ausgerichtet – das war eher Zufall. Bobbito hat mich schon früh inspiriert. Er ist ein Teil der Generation die HipHop und die ganze zugehörige Kultur erfunden hat.

Das Besondere an ihm ist, das er einfach alles macht! Der ist ein absolutes Multitalent. Ob Basketballer, Autor, Moderator und Showmaster, Breaker, Designer, Schauspieler oder was auch immer - für HipHop hat der Mann verdammt viel getan. Er war Wegbereiter für einige der ganz Großen in der Szene. Ich hab' dann einfach ein Tribute-Bild gemalt um ihm, und was er für mich und HipHop getan hat, zu huldigen. Das Bild featured sein ganzes Leben, ich habe versucht alle relevanten Stationen mit einfließen zu lassen. Auf einmal hörte ich, dass er auf die Sneakerness kommt...eigentlich wollt' ich das Bild an irgendwelche Fans bei eBay verkaufen, aber dann war für mich klar, ich pack' das Bild in meinen Kofferraum und schenke es ihm. Ich wusste, das ist ein gechillter Typ und der erkennt auch an, was andere machen. Das war für mich auch definitiv die richtige Entscheidung. Ich hab' mit ihm vor Ort in einer ruhigen Minute gesprochen und erklärt, dass er für mich immer eine große Inspiration war und ich daher sein Leben verewigt habe...Als er das Bild dann sah, hat es ihn wortwörtlich umgehauen und als er wieder aufstand, sagte er mir das er nicht glauben könne wie viel Liebe ich in das Bild gesteckt hätte und hat mir gedankt. Ich machte ihm den Vorschlag, das Bild, falls er es nicht für sich haben möchte, mit seiner Unterschrift drauf, für einen guten Zweck zu versteigern, er ist ja ein sehr sozial engagierter Typ, aber er wollte es unbedingt behalten, um es in seiner Bude in Harlem aufzuhängen!

Er hat mir noch mehrfach geschrieben, mir gedankt und mir erzählt, wo genau er das Bild jetzt platziert hat, ich glaube in seinem Wohnzimmer. Anfangs wollt' er mir ja unbedingt Kohle zuschieben aber das konnte ich natürlich nicht annehmen...

Du hattest vor kurzem deine erste große Ausstellung in Koblenz, deiner Heimatstadt. Wieso gab's von dir vorher noch nie wirklich was zu sehen, also abgesehen von den Graffiti-Arbeiten?

Um ehrlich zu sein, ich habe bisher nie wirklich den Drang gehabt auszustellen. Ich wollte zunächst mal einen gewissen Fundus schaffen, aus dem ich schöpfen kann, wollte Bilder malen, die mir am Herzen lagen. Vor zwei Jahren habe ich mal auf einem Sinti- und Roma Musik-Festival meine Bilder präsentiert, weil ich damals eine ganze Reihe von Bildern mit Sinti- und Roma-Background gemalt hatte, aber die Ausstellung hier in Koblenz war tatsächlich meine erste, große, die offiziell auch meinen Namen trägt. Aber sie wird definitiv nicht meine letzte sein. Ihr könnt noch einiges von Track 76 erwarten!

Text: Kai Frischemeier

Fotos: MATTPHOTO.DE

Track76 im Web: www.track76.blogspot.com